Ironman Schweden Kalmar
Ironman Schweden Kalmar – Oli L. ist auf der Reise und hat Seitenwind
Es ist unglaublich, aber ich muss heute feststellen, dass mein Rennen in Kalmar meinen bisher größten persönlichen Erfolg darstellt. Nichts ist vergleichbar mit den Erfahrungen, die ich während meiner 226km langen Reise durch die Region Kalmar machen durfte oder musste. Zwar ist die Definition des Erfolges eine andere, als die ursprünglich geplante, mit der ich nach Kalmar gereist bin, aber mit dem Abstand von einigen Tagen kann ich für mich persönlich sagen, es ist gut so, wie es abgelaufen ist. Es war bei weitem nicht das Rennen, wie es geplant war, wenn man einen Ironman überhaupt planen kann. Aber alles der Reihe nach.
Nach Kopenhagen im August 2014 war für mich schnell klar, nächstes Jahr stehe ich wieder an der Startlinie für einen Ironman. Die Suche nach dem passenden Rennen gestaltete sich zunächst etwas schwierig und über Umwege ergatterte ich einen Startplatz für Kalmar. Schwimmen in der Ostsee -kannte ich nun bereits aus Kopenhagen-, das läuft. 180 absolut flache Radkilometer, spitze! Nur drei Runden á 14 Kilometer fand ich vom Kopf her ideal. Herz, was willst du mehr?
Mit einer doch recht durchwachsenen Vorbereitung, gekennzeichnet durch viele Höhen und Tiefen, kam ich nun am 15. August an das Hafenbecken von Kalmar und stand meiner zweiten Langdistanz gegenüber. Insgesamt wollten sich an diesem Tag 2800 Athleten auf diese Reise begeben, um ihr persönlich gestecktes Ziel zu erreichen. Mein Ziel sah zum einen die Verbesserung der Zielzeit, zum anderen eine bessere Platzierung in der Alterklasse gegenüber Kopenhagen vor.
Durch die Variante des rollenden Starts konnte jeder Athlet sich seiner realistischen Zielzeit für das Schwimmen zuordnen und gemeinsam mit Peggy wollte ich die 1. Stunde angehen. Wir standen sehr weit vorne, was mir etwas zu denken hätte geben sollen, aber nun gut – es ging los – der Startschuss. Über eine Treppe gelangte man ins Wasser des Hafenbeckens von Kalmar und dieses gehörte zur Sorte „erfrischend“. Nach ca. 50 Metern bogen wir aus dem kleineren Teil des Hafenbecken in den größeren ab und schlagartig begann der Kampf. Durch den starken Wind gab es sehr hohe Wellen und das Meer war extrem unruhig. Ich musste derart darum kämpfen, die erste Boje zu erreichen, dass ich nach 400 Metern schon mit meinen Armen am Limit angekommen war. Nach einem 90°-Knick kam die längste Gerade und die Wellen peitschen direkt von der Seite, teilweise über einen hinweg. Mir war durch das Geschaukel und die immense Anstrengung so schlecht, dass ich mich auf dieser Geraden zweimal übergeben musste. Es war sehr schwierig auf Kurs zu bleiben. Bald tat ich es meinen Mitschwimmern, die total verstreut um mich herum waren, gleich und wir hielten kurz an, paddelten und orientierten uns immer dann, wenn wir von einer Welle noch oben gehoben wurden. Auf dem Rückweg von der äußersten Boje kamen mir einige Athleten entgegen, die total vom Kurs abgetrieben wurden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir die Zeit beim Schwimmen absolut egal. Ich wollte es nur noch hinter mich bringen. Sauberes, kräftesparendes Schwimmen war nicht möglich. Teilweise konnte ich nur windmühlenartig Schwimmen, da mir die Wellen bei der Überwasserphase die Arme kreuz und quer wegschlugen. Als ich an der Mole im Hafenbecken meine Supporter erkannte, war ich heilfroh, das große Becken zu verlassen und nur noch um eine kleine Halbinsel schwimmen zu müssen. Bei dem ruhigen Wasser an der Mole entlang konnte ich auch sofort wieder gleiten und mich ein wenig beim Schwimmen entspannen. Um die bisherige Strecke zu absolvieren, musste ich bereits zu diesem Zeitpunkt absolut an mein Schwimmlimit gehen und genau das sollte man beim Ironman ja eigentlich nicht. Leider hatte ich die Rechnung ohne den Bojensetzer gemacht. Die letzte große Wendeboje stand noch einmal außerhalb des Hafenbeckens und musste komplett gegen die Wellen angeschwommen werden. Meine Arme waren so fertig und ich kämpfte nur noch gegen die Wellen an. Als ich endlich um die Boje rum war und durch die letzte Brücke auf den Schwimmausstieg zuschwamm, war ich einfach nur froh, es überstanden zu haben. Meine Schulter und Arme waren Matsch, auch meine Beine musste ich mehr anstrengen, als ich es geplant hatte.
Jetzt ging es jedenfalls auf das Rad und ab da konnte es ja nur besser werden. Als ich mein Rad vom Wechselplatz nahm, traf ich Peggy -so schlecht konnte mein Schwimmen dann wohl doch nicht gewesen sein- und wir wünschten uns noch eine gute Fahrt. Die hatte ich auch, jedenfalls bis Kilometer 2. Ab diesem Zeitpunkt bekam ich Schmerzen im rechten Bein und den Adduktoren. Ich rutschte auf meinem Sattel hin und her und versuchte mein Bein zu entlasten, aber nichts half. Relativ schnell folgte die Auffahrt auf die Ölandbrücke, komplett mit Gegenwind. Im Wiegetritt versuchte ich halbwegs mit Geschwindigkeit dort hoch zu kommen und trotzdem meinem Bein gerecht zu werden. Auf der Abfahrt der Brücke fand ich eine Aeroposition in der das Bein halbwegs zu ertragen war. Die Folgen dieser Sitzhaltung sollte ich im späteren Verlauf noch merken. Zu diesem Zeitpunkt aber fand ich so langsam meinen Rhythmus. Die Strecke führte kerzengerade Richtung Südöland. Der Wind blies konstant aus Osten, es gab so gut wie keine Kurven oder Büsche, somit konnte ich mich auf den ständigen Seitenwind einstellen. Worauf ich mich nicht eingestellt hatte, war ein riesiger Hubbel auf der Straße, der urplötzlich vor mir auftauchte. In einem kleinen Örtchen, in dem normal nur 30 km/h gefahren werden sollen, war ein großer Schweller auf die Straße gepflastert worden, damit die Autos auch schön runterbremsen. An meinem Wettkampftag schepperte es dort zweimal und meine beiden Radflaschen verabschiedeten sich und platschten auf die Straße. Grundsätzlich kein Problem, da es ja alle 25 Kilometer Verpflegungsstationen gab. Da ich aber nur fructosefreie Gels vertrage, ging mit einer der Flaschen auch meine Verpflegung für die zweiten 90 Radkilometer verloren. Es gab für mich nur zwei Optionen: 1. Wie angedacht weiterzufahren und zu versuchen, so schnell wie möglich in die Wechselzone zu meiner Laufverpflegung zu kommen oder 2. Fahrt rauszunehmen, Körner zu sparen und aber deutlich später bei meiner weiteren Verpflegung anzukommen, die im Laufbeutel in Kalmar deponiert war. Ich entschied mich für weiter drauf halten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bekam der Wettkampf eine neue Ausrichtung. Ich will das Ding nur ins Ziel bringen, ging es mir durch den Kopf. Egal in was für einer Zeit und mit was für einer Position. Ein Ersatzgel hatte ich noch mitgenommen sowie ein Snikers, welches es bei Kilometer 90 als Motivation geben sollte. Auf Öland bogen wir nach 60 Kilometer links ab, um auf der anderen Inselseite wieder nach Norden zu fahren. Fünf harte Gegenwindkilometer standen dort auf dem Programm und es war sehr schwierig mehr als 20 km/h flach zu fahren. Aber auch dieser Abschnitt ging rum. Die Rückfahrt nach Norden unterschied sich von der Fahrt nach Süden nur darin, dass der Wind jetzt von rechts kam und der linke Arm den Lenker immer wieder gefühlt nach unten drücken musste, da das Rad seitlich unter mir etwas schief stand.
Bei Kilometer 70 verlor ich dann, während des Einfüllens des Gels in meine Radflasche, mein Snikers. In diesem Moment verstand ich die Welt nicht mehr -Wer oder was möchte mich hier ärgern?-. Die Frustration über den nächsten Verlust der Energiezufuhr setzte aber eine Trotzreaktion frei und ich erhöhte weiter in Maßen mein Tempo. Nach und nach fuhr ich auf vor mir fahrende Athleten auf und an ihnen vorbei. Ich machte in den folgenden Kilometern Platz um Platz gut. Hinzu kam, dass einige Athleten scheinbar nicht mehr ihr Anfangstempo halten konnten. Mit über 50 Km/h und dem Wind im Rücken ging es über die Ölandbrücke zurück auf das Festland. Auf dem Weg zur 60 Kilometer langen Inlandrunde mussten wir direkt an der Wechselzone vorbei. Dort gab es einen Vorgeschmack auf die tolle Unterstützung der Zuschauer und persönlichen Supporter, die uns beim abschließenden Marathon begleiten sollten. Auf Position 10 der AK und irgendwo im Gesamtklassement auf Platz 50 liegend verließ ich Kalmar Richtung Norden. Zu diesem Zeitpunkt lief es perfekt. Ich konnte einen sehr guten Rhythmus treten und auf vereinzelte Athleten auffahren. Das Feld war zu diesem Zeitpunkt sehr versprengt, Gruppen gab es so gut wie keine und im Allgemeinen leisteten die Wettkampfrichter eine tolle Arbeit. Die Penaltyboxen, gerade auf den ersten 110 Kilometern, waren gut besucht.
Ab Kilometer 140 musste ich dann leiden. Zunächst konnte ich die obere Begrenzung meiner vorgegebenen Wattzahlen nicht mehr treten. Auch der Rücken meldete sich immer öfter. Einige Minuten verbrachte ich damit, einen neuen Rhythmus zu finden und meinen Rücken zu dehnen. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaute ich auf den Tacho und dieser stand immer noch bei 141 km – das konnte doch nicht wahr sein. Zehn Minuten zuvor war ich doch schon genauso weit gewesen oder nicht? Ich ersehnte die Wechselzone herbei, aber laut Anzeige waren es nun noch 40 Kilometer. Das raubte mir kurzzeitig stark die Motivation. Als ich fünf Minuten später immer noch eine 141 dort entdeckte, war mir klar, irgendetwas läuft hier schief. Ich hatte meine Pulsuhr noch am Handgelenk und auf dieser leuchteten bei der Distanz 158km auf. Das las sich gleich viel besser. Trotzdem litt ich weiter. Mein Rücken wollte einfach keine Aeroposition mehr mitmachen und selbst die minimale Wattvorgabe war schwierig einzuhalten. Ich fühlte mich einfach leer. Als letzte Rettung fuhr ich bei den Gegenwindpassagen auf dem kleinen Kettenblatt und versuchte, eine höhere Umdrehung zu treten. Vereinzelt überholten mich jetzt Athleten und ich konnte ihnen immer nur für ein bis zwei Kilometer folgen. Dann musste ich sie ziehen lassen. Diese letzten 20 Kilometer zogen sich wie Kaugummi. Mir schoss nur durch den Kopf, wie soll ich gleich laufen? Ich bekam kaum die Kurbel rum und es standen jetzt noch 42 Kilometer an. Bei der Einfahrt nach Kalmar konzentrierte ich mich auf meinen Abstieg! Er gelang, ja diese Hürde war geschafft. Zu meiner Verwunderung konnte ich mein Rad nicht abgeben, sondern musste es eigenständig zum Platz bringen. So kam ich wenigstens nicht auf doofe Gedanken, wie sich die Beine beim Laufen anfühlen würden, sondern konzentrierte mich darauf, meinen Radplatz zu finden. Im Wechselzelt nahm ich erstmal ein Gel und dann den Helm ab. Ich setze mich auf die kleine Bank und atmete durch, zog meine Schuhe an und dachte nur: Hier sitzen bleiben wäre auch nicht verkehrt. Hier ist es ganz schön! Aber da draußen stehen die, die extra wegen mir hierher gekommen sind, also Hintern hoch und raus hier!
Zu meinem Erstaunen konnte ich auch sehr gut loslaufen. Die vielen Menschen in der Innenstadt und vor allem meine Supporter feuerten mich so dermaßen an, dass die Gedanken um die müden Beine und den nicht mehr ganz so entspannten Rücken sehr schnell vergessen waren. Meinen angestrebten Kilometerschnitt von vier Minuten und dreißig Sekunden konnte ich sehr gut laufen und kam in einen schönen Rhythmus. Überall an der 14 Kilometer langen Laufrunde hatten sich meine Leute verteilt und feuerten mich an. Die erste Runde war ein purer Genuss und verflog total schnell. Auf dem Weg zurück in die Innenstadt konnte ich sogar so etwas wie einen Runnershigh verspüren. Es machte einfach nur Spaß. An jeder Verpflegungsstation nahm ich Wasser/Cola/Wasser auf und von meinem Energieloch am Ende des Radfahrens war nichts mehr zu spüren. Zu Beginn der zweiten Laufrunde musste ich für meine Pace zwar wieder arbeiten, aber das hatte ich im Training oft genug geübt. Der große Hammer kam dann bei Kilometer 18. An dieser Verpflegungsstation musste man eine kleine Welle hinauf laufen und das ging nicht mehr. Ich bekam meine Beine nicht mehr angehoben. Keine Panik, dachte ich, erst mal in Ruhe Wasser und Cola trinken, das stille Örtchen aufsuchen (das war eh nötig) und anschließend wieder locker anlaufen. Es blieb dann auch beim lockeren Laufen. Ich hatte solche Krämpfe in den Beinhebern, dass ein langer Schritt und eine saubere Flugphase nicht mehr drin waren. Bald war der Halbmarathon geschafft und ich hoffte, wenn ich es jetzt ruhig angehe, alles in den Verpflegungen mitnehme, würde ich mich vielleicht wieder fangen können. Bei jeder Verpflegungsstation ging ich und konnte zwischen den Stationen nur noch einen 5:20 Km/min Schnitt laufen. Mehr lief nicht mehr. Als ich am Ende der zweiten Runde am Zielkanal vorbei lief, wünschte ich mir, mich einfach nur noch hinter dem Ziel hinzulegen. Dieser Gedanke war auf der gesamten dritten Laufrunde präsent. Viele Erinnerungen habe ich an diese Runde nicht mehr. Nur an die letzten vier Kilometer. Alle meine Supporter waren gefühlt überall und feuerte mich ununterbrochen an. Mit dem Letzten was die Beine hergaben schleppte ich mich in die Innenstadt zurück und bog endlich auf die lange Gerade ein, an deren Ende der Zielbogen stand. Was mir in diesem Moment durch den Kopf ging, ist nicht zu beschreiben. Ich denke jeder, der eine Langdistanz ins Ziel gebracht hat, weiß, was ich meine. Als ich die letzten 100 Meter auf dem roten Teppich lief und die Menschen auf der Tribüne klatschten und ich den Satz, „You are an Ironman!“ hörte, waren all die Qualen der letzten 9:52:29 Stunden vergessen. Diesen Zieleinlauf konnte ich deutlich mehr genießen, als den letztes Jahr in Koppenhagen und endlich konnte ich mich hinlegen. Direkt hinter der Ziellinie. Ich weiß nicht wie lange ich dort lag, aber neben der körperlichen Erschöpfung gingen mir ganz viele Dinge durch den Kopf. Ich musste an all die Menschen denken, die extra wegen mir nach Kalmar gefahren waren, an alle daheim, die den Tag vor dem Liveticker verbrachten und an einige, ohne die dieses Projekt niemals hätte stattfinden können.
Mein persönlicher Erfolg, den ich aus Kalmar mit nach Hause nehme, ist der Sieg über mich selbst. Oft hat der Kopf gesagt, lass es sein, hat der Körper mir an diesem Tag den Dienst quittieren wollen, aber ich habe immer weitergemacht. Natürlich nicht mit der Performanz, die ich gerne gezeigt hätte. Eine schnellere Zeit war unter diesen Umständen einfach nicht möglich. Für mich ist es an diesem Tag nebensächlich geworden, welchen Schnitt ich gerade schwimme, fahre oder laufe. Ich wollte, auf Grund der Umstände, jede einzelne Disziplin nur ins Ziel bringen und das ist mir gelungen.
Mein Ziel, mich gut zu platzieren, konnte ich jedoch verwirklichen und mich über den 16. Platz in der AK und den 79. Platz im gesamten Feld freuen. Eine Steigerung gegenüber Kopenhagen, die als Fazit zulässt: Da ist also noch Luft nach oben!
Da solch ein Projekt nur mit der Hilfe eines tollen Umfeldes gelingen kann, möchte mich noch bei einigen Menschen bedanken.
Ein riesiges Dankeschön geht an Maren (dafür, dass ich diesen Sport so betreiben kann), meine Eltern (die am Wettkampftag mehr gelitten haben als ich), Meike und Marco (für die Massagen und dass ihr immer da seid – das ist ein gutes Gefühl), Manuel (du geborener Motivator), Paddy (für deine direkten und aufbauenden Worte), Anna und Martin (es war gut, euch immer wieder zu sehen und zu hören – sorry für die Flasche), Michael und Gaby (saustark, dass ihr mit dabei wart – Michael, im weitesten Sinne bist du ja daran schuld, dass ich überhaupt zum Triathlon gekommen bin).
Auch ein riesiges Dankeschön an alle, die zu Hause mitgefiebert haben. Stellvertretend möchte ich mich hier bei Timm bedanken. Weltklasse, wie du uns den ganzen Tag mit Zeiten versorgt hast!
Abschließend möchte ich noch drei Menschen Danke sagen, ohne die ich nicht am Start gewesen wäre oder es nicht zu Ende gebracht hätte.
Helmut Krieger für die schnelle und supergute Betreuung, wenn mal wieder der Kopf explodierte.
Latzi, für die muskulären und manchmal seelischen Wiederherstellungskünste.
Und natürlich ein großer Dank an Jürgen. Nur dank deiner Masterpläne bin ich so weit gekommen.
MASCHINE!!!
Geiles Ding!!!
Respekt!!!